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Suggested Recital Programme

„Bach, Krenek, Beethoven“
erläuternder Text im Anhang, verfasst für das Programmheft des Solorezitals am 31. Juli 2015/Festival „Carinthischer Sommer“

 
J. S. Bach:                 Präludium und Fuge C-Dur WTK I
J. S. Bach:                 Präludium und Fuge Cis-Dur WTK I
J. S. Bach:                 Präludium und Fuge cis-Moll WTK I
E. Krenek:                2. Sonate op. 59
J. S. Bach:                 Präludium und Fuge E-Dur WTK I
J. S. Bach:                 Präludium und Fuge d-Moll WTK II
J. S. Bach:                 Präludium und Fuge Es-Dur WTK II
L v Beethoven:        Sonate op. 106 B-Dur „Hammerklaviersonate“
Werkeinführung:
Johann Sebastian Bach
Als Johann Sebastian Bach sich um die höchst angesehene Stelle des Thomaskantors in Leipzig bewarb, sollte er auch seine pädagogischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Also reichte Bach 1722/23 u. a. die 24 Präludien und Fugen des Wohltemperierten Klaviers Band I ein, die anschaulich darstellen sollten, in welcher Weise er herangehende Musiker in der Kunst der Komposition und des Instrumentalspiels schulen würde. Die großartige Neuerung dieser Werksammlung war, daß sie jeweils ein Präludium und eine Fuge in jeweils einer der vierundzwanzig Dur- und Molltonarten, in chromatisch aufsteigender Ordnung, vorweisen konnte. Daß der Umgang mit Tonarten zuvor beschränkt war, lag an den damals üblichen Instrumentenstimmungen, „Temperierungen“, die den Tonarten durch unregelmäßige Intervallabstände – welche für uns, die wir heute die gleichschwebende Stimmung gewohnt sind, ‚verstimmt‘ klingen – jeweils charakteristische Farben gaben. Bach konnte damals auf eine neuartige Stimmung, von ihrem Erfinder Werckmeister „Wohltemperierte Stimmung“ genannt, zurückgreifen. Indem er jeder Fuge im strengen Kontrapunkt ein quasi improvisatorisches Präludium im freien Satz voranstellte, lotete Bach das Tonmaterial, das er verwendete, aus. Bach hob durch seine Experimentierfreude und kompositorische Neugierde im Wohltemperierten Klavier I und II nicht nur die kontrapunktische Technik auf ein neues Niveau, er setzte auch für das instrumentale Spiel zukunftsweisende Herausforderungen. Inhaltlich unterscheiden sich die sechs programmierten Präludien und Fugen auch entsprechend des Charakters ihrer Tonart. So setzte Bach z. B. der fünfstimmigen Fuge in cis-Moll, die in ihrer Anlage als Tripelfuge bezeichnet werden kann (drei Themen bestimmen den Verlauf), ein Thema voran, das durch seine Intervallstruktur symbolisch das Kreuz Christi beschreibt. Und die festliche vierstimmige Fuge in Es-Dur setzt er im „stile antico“. Diese könnte übrigens Beethoven für seinen Kanon in der Durchführung des ersten Satzes der Sonate op. 106 im Ohr gehabt haben. Bereits vom elfjährigen Beethoven wird überliefert, daß er große Teile des Wohltemperierten Klaviers beherrschte. Später hält Beethovens Schüler, der Klavierpädagoge Carl Czerny, fest, daß Beethovens Spiel der Fugen Bachs einzigartig gewesen sei.
Ernst Krenek
Ernst Kreneks Zweite Sonate op. 59 von 1928 führt uns in eine musikalische Welt, in der die Tonalität, die Bach so kunstvoll erschlossen hatte, nicht mehr Basis der Komposition ist. Krenek, 1900 geboren, im Wesen forsch und selbstbewußt, nimmt in den Zwanzigerjahren u. a. in Wien, Deutschland und Paris alle kompositorischen Möglichkeiten, die ihn umgeben (u. a. Atonalität, Zwölftontechnik…), wahr und läßt sie in sein Werk einfließen. So wird er 1927 durch seine vom Jazz inspirierte Oper Jonny spielt auf weithin berühmt. In den dreißiger Jahren brachte ihm dasselbe Werk von den Nationalsozialisten eine Eintragung in die Liste der entarteten Künstler, er wurde mit Aufführungsverbot belegt und in die Emigration getrieben. Zur „neoromantischen“ Zweiten Sonate meint Krenek selbst: „[…] In der Sonate versuchte ich mich an der Wiederbelebung und Umformung einiger eher Schubertscher Wendungen, wie zum Beispiel im zweiten Satz der deutliche Übergang von schnellem zu langsamem Tempo, während der Grundschlag der gleiche bleibt […]. Der Stil der Sonate ist eine ziemlich verwirrende Mischung aus Schubert, Chopin, Tschaikowsky (das spritzige zweite Thema meines Finales erinnert mich immer an die schwungvollen Gesten im Scherzo der Symphonie Pathétique) und Schumann (das dritte Thema des Finales). Insofern erinnert meine Sonate vielleicht an eines der surrealistischen Montageverfahren Strawinskys, aber die Absicht war eine andere, da ich nicht ironisch oder komisch sein wollte“ (aus Kreneks Autobiographie Im Atem der Zeit).
Ludwig van Beethoven
Ludwig van Beethoven komponierte die Sonate op. 106 von 1817 bis 1818 in schwierigen Umständen. So schrieb er am 16. April 1819 an seinen ehemaligen Schüler, den in London lebenden Ferdinand Ries, dem er diese Sonate zur Veröffentlichung in Großbritannien ans Herz legte: „Verzeihen Sie die Konfusionen. Wenn Sie meine Lage kennten, würden Sie sich nicht darüber wundern, vielmehr über das, was ich hierbei noch leiste.“ Drei Tage später, erneut an Ries, führte Beethoven weiter aus: „Die Sonate ist in drangvollen Umständen geschrieben; denn es ist hart, um des Brotes willen zu schreiben; so weit habe ich es nun gebracht!“ Der unverheiratete, kinderlose Beethoven war nach dem Tod seines Bruders Caspar Carl 1815 in einen jahrelangen, zermürbenden und finanziell aufwendigen Sorgerechtsstreit um seinen damals neunjährigen Neffen Karl mit dessen Mutter verwickelt. Und seine weit fortgeschrittene Ertaubung, die eine Kommunikation mit der Außenwelt in vielerlei Hinsicht auf den Schriftverkehr reduzierte, erschwerte seine Lage zusätzlich. So gibt es ab 1818 die „Konversationshefte“, die Alltagskommunikation mit Bediensteten und Freunden dokumentieren.
Wenn wir also diese Umstände betrachten, erscheint umso beeindruckender, mit welcher Kraft Beethoven die Sonate op. 106, seine mit Abstand größte Klaviersonate, zum Leben erweckte. Es fällt schwer zu glauben, daß sie eine kompositorische Krisenzeit Beethovens beendete, als ihm fehlende Produktivität zu schaffen machte. Der erste Satz eröffnet mit einem prächtigen, sich über alle Register des Flügels erhebenden, fanfarenartigen Ausruf, der einer Skizze Beethovens zufolge ursprünglich für eine Huldigungs-Kantate Vivat, vivat Rudolfus (Uhde) gedacht war. Die Kantate wurde nicht realisiert, die Sonate op. 106 fand jedoch in Erzherzog Rudolph, dem Schüler und Gönner Beethovens, ihren Widmungsträger. Dieses Rufmotiv in strahlendem B-Dur ist gleichermaßen Motto wie Kopfteil des großangelegten Allegro-Hauptthemas, das nach kurzem Innehalten die Antithese des mächtigen Signalrufes bringt, einen sanglichen, harmonisch starken Wandlungen unterliegenden Melodieabschnitt. Dieser bereitet den Aufschwung vor, der in registerübergreifende Akkorde mündet – sie bringen das Hauptthema zu Ende. Allein an der Großartigkeit dieses Hauptgedankens läßt sich die enorme Anlage der Sonate erahnen. Selten findet man ein Thema, das ein Werk derart jubilierend, von freudiger Energie erfüllt anstimmt.
In diesem Satz, ja, der ganzen Sonate, benötigt jeder thematische Gedanke Raum, wird von verschiedenen Perspektiven beleuchtet, oft orchestral durch die Register des Flügels geführt und pianistisch detailliert ausgearbeitet.
Im Gegensatz zum breit angelegten ersten Satz bekommt man das skurril anmutende Scherzo (Assai vivace) kaum zu fassen. Es scheint dem Hörer in der raschen Abfolge an Ideen und kleinräumigem Geschehen immer entschlüpfen zu wollen, während es mit diversen Überraschungsmomenten gehaltvoll, doppelbödig und auch grotesk vorüberzieht. Wenige Takte vor Schluß kulminiert es in der dramatischen, kahlen Konfrontation von h zu B, bevor es sich, B vorziehend, unauffällig verflüchtigt.
Das nachfolgende Adagio sostenuto, mit der Spielanweisung „Appassionato e con molto sentimento“, führt uns für etwa fünfzehn Minuten weit weg, in eine fis-Moll-Gegenwelt, die, so vermeint man, inhaltlich ein ganz eigenes, reiches musikalisches Leben in all seinem Schicksal umspannt; bei genauerer Betrachtung ist eine motivische Verwandtschaft mit den übrigen Sätzen unverkennbar.
Um aus diesem Adagio in die im gleichen Maße feurig rasante, bewegungsreiche und vor allem monumentale Fuge in B-Dur überzuleiten, setzt Beethoven der Fuge eine Largo voran, das quasi präludierend, improvisierend, den Weg zurück sucht und findet.
Carl Czerny empfiehlt den Interpreten als Vorbereitung für diese Fuge das Studium der Fugen von Bach. Tatsächlich folgt Beethovens „Fuga a tre voci, con alcune licenze“ spieltechnisch und kompositorisch neuen Voraussetzungen und bringt mit dem in das Fugenthema eingearbeiteten Triller, der inhaltlich mit einem dekorativen Ornament gar nichts mehr gemein hat, ein strukturstiftendes Movens hinein, das Quell von Energie, Antrieb und Verdichtung ist.
Gerda Struhal
© Carinthischer Sommer 2015

“JS Bach – F Chopin”
J S Bach:      Präludium und Fuge in C-Dur BWV 846
J S Bach:      Präludium und Fuge in c-Moll BWV 847
F Chopin:     Ballade Nr. 2 in F-Dur  op. 38
J S Bach:      Präludium und Fuge in D-Dur BWV 850
J S Bach:      Präludium und Fuge in d-Moll BWV 875
F. Chopin:    Mazurka op. 59 Nr. 1 in a-Moll
F. Chopin:    Mazurka op. 59 Nr. 2 in As-Dur
J S Bach:      Präludium und Fuge in E-Dur BWV 854
F. Chopin:   Scherzo Nr. 4 in E-Dur op. 54
Pause
J S Bach:     Präludium und Fuge in f-Moll BWV 881
F. Chopin:   Ballade Nr. 3 in As-Dur  op. 38
J S Bach:     Präludium und Fuge in Cis-Dur BWV 848
J S Bach:     Präludium und Fuge in cis-Moll BWV 849
F. Chopin:   Prélude op. 28 Nr. 15 in Des-Dur„Regentropfen-Prélude“
F. Chopin:   Scherzo Nr. 2 in b-Moll op. 31
Einführungstext Solorezital „JS Bach – F Chopin“
Zwischen Johann Sebastian Bachs Tod 1750 und Frédéric Chopins Geburt 1810 lagen sechzig Jahre, die geographische Distanz Leipzig – Żelazowa Wola und, neben vielen anderen Entwicklungen, auch die Handhabung unterschiedlicher Tasteninstrumente. Während der Großteil des „Wohltemperierten Klavier“ wohl für Cembalo oder Clavichord geschrieben wurde, komponierte Chopin bereits ausschließlich für das Hammerklavier. Auch darüberhinaus lagen in der Wahrnehmung des Pariser Publikums von 1833 ganze Welten zwischen den beiden Komponisten. Als der Wahlpariser Chopin, gemeinsam mit seinem Kollegen  Franz Liszt und dem Klaviervirtuosen Ferdinand von Hiller – alle drei waren große Bachadlaten – 1833 das Allegro von Bachs Konzert für drei Klaviere in d-Moll in Paris zur Aufführung brachte, hagelte es Kritik. Hector Berlioz schrieb in der Zeitschrift „La Rénovateur“ am 29. Dezember 1833  gar folgendermaßen über diese Aufführung: „Es  war erschütternd, ich beschwöre es, drei erstaunliche Talente gesehen zu haben, voller Energie, Jugend und Leben überbordend, die sich versammelten, um diese dumme und lächerliche Psalmodie aufzuführen […]“. Das kompositorische Schaffen von Johann Sebastian Bach wurde nicht geschätzt unter den Pariser Musikliebhabern und Musikern in den 1830er Jahren. Das lag daran, dass Bach schon zu seinen Lebzeiten mit dem Hang zur polyphonen Musik, nämlich den Fugenkompositionen, vielen als altmodisch galt, während den Musikhörern nach Modernem, nach Virtuosem, nach Melodischem, Eingängigem, Affekt- und Effektvollem war. Das lag auch daran, dass zu Mozarts und Beethovens Lebzeiten der Sohn Johann Sebastian Bachs, der Komponist, Cembalovirtuose und Pädagoge Carl Philip Emanuel Bach jener hoch gerühmte Bach war, von dem alle annahmen, dass er adressiert sei, wenn man von „Bach“ sprach, und der eben ganz andere Musik komponierte als sein Vater. Johann Sebastian Bach war in der breiten Öffentlichkeit vollkommen in Vergessenheit geraten. Die von Deutschland ausgehende, durch Mendelssohn initiierte, Bach-Renaissance des Johann Sebastian Bach hatte in Paris zu dieser Zeit noch keinen Widerhall gefunden.
Manch Musiker kannte jedoch auch vor und zu Chopins Lebzeiten 1810-1849 Bachs „Wohltemperiertes Klavier“. Mozart (†1791) war durch Freiherr van Swieten an das Werk herangeführt worden und fasziniert davon. Von Beethoven (†1827) wird überliefert, dass er ein unübertroffener Interpret von Bachs Präludien und Fugen gewesen sei. Und Chopin sah in Johann Sebastian Bach ebenfalls den großen Meister, an dem er sich orientierte. Auch von Chopin ist dokumentiert, dass er das „Wohltemperierte Klavier“ spielte. Die Noten des Werkes nahm er auf jede Reise mit. Das Werk war ihm ständiger musikalischer Begleiter und kompositorischer Wegweiser. Für das heutige durch die historische Musizierpraxis geschulte Publikum wäre außerordentlich interessant, wie Chopin, der großartige Pianist, die Präludien und Fugen Bachs wohl spielte? Wie ging er damit stilistisch um? Wie handhabte er Artikulation, Tempo, Phrasierung? Wir wissen es nicht. Ein direkter Einfluss des Wohltemperierten Klaviers auf Chopins Schaffen lässt sich an der Komposition des Zyklus 24 Préludes op. 28 ablesen: so wird jeder der 24 Tonarten ein Prélude zugeordnet. Bach folgt ebenfalls diesem Prinzip, wenn auch in anderer Anordnung. Bach arbeitet die Tonarten der Reihe nach chromatisch von unten aufsteigend ab, während Chopin, ebenfalls in C-Dur beginnend, im Quintenzirkel voranschreitet. Außerdem beschränkt sich Chopin auf die Form des Prélude, lässt es eigenständig und ohne nachfolgende Fuge stehen. In diesem Rezitalprogramm erklingt mit dem Des-Dur Prélude ein Auszug aus diesem Zyklus. Jedoch lässt sich wohl auch an Balladen, Scherzi und Mazurken  anhand der konsequenten Linienführung der verschiedenen Stimmen des Klaviersatzes und der genauen, dichten kompositorischen Arbeit hie und da das Vorbild Bachs ausmachen. Chopin ließ sich durchaus auch von anderen Komponisten inspirieren: so widmete er die zweite Ballade, die man sowohl in F-Dur als auch a-Moll stehend bezeichnen könnte, seinem gleichaltrigen Kollegen Robert Schumann. In den melodischen Kantilenen der Eckteile des b-Moll Scherzos hört man Chopins Liebe zu den Opern seines Freundes Vincenzo Bellini und sein Bemühen, den Belcanto auf das Klavier zu übertragen, heraus.
Nun besteht , wie eben beschrieben, eine tiefe Verbundenheit von Chopin zu Bach, nur, wie verhält es sich umgekehrt? Was verbindet Bach mit Chopin? Ist eine derartige Fragestellung sinnvoll bzw profitiert auch der Komponist Bach von einer solchen programmatischen Gegenüberstellung? Die Beantwortung dieser Frage scheint angesichts Bachs Todeszeitpunkt 60 Jahre vor Chopins Geburt eine vorrangig philosophische Herausforderung. Doch schon die Biographien lassen das eine oder andere Verbindende erkennen: beide sind große Virtuosen, beide gefragte Pädagogen, Bach als Thomaskantor an einer hoch angesehenen Institution in Leipzig, Chopin ein gesuchter Privatlehrer in Paris. Was an Bachs „Wohltemperiertem Klavier“, dessen erster Band spätestens 1722/23 vollendet wurde, neben vielem anderen wegweisend sein sollte, war die erstmalige Verwendung aller 24 Tonarten als Grundlage für Kompositionen, denen jeweils eine dieser 24 Tonarten zugeordnet wurde. Das war erst dank einer Instrumentenstimmung möglich, die auf Andreas Werckmeister zurückgeht, sinnvollerweise als „Wohltemperierte Stimmung“  bezeichnet wurde und die die Reinheit der Terzen zugunsten einer größeren Reinheit der Quinten kompromittierte. Zuvor war der Radius der auf den Stimmungsverhältnissen der mitteltönigen Stimmungen verfügbaren Tonarten – basierend auf möglichst reinen Terzen – sehr beschränkt.  Für Musikhörer, die an die heute gängige,  gleichschwebende Stimmung (alle Halbtöne sind genau gleich groß) gewöhnt sind, ist weder die zu Bachs und Chopins Zeiten geltende Tonartencharakteristik nachvollziehbar noch klingen mitteltönige oder wohltemperierte Stimmung für die heutigen Ohren ‚sauber‘.
Bach hatte also auf dem Gebiet der Entwicklung der Tonarten und der Aufbereitung sämtlicher Tonarten für das Komponieren einen bahnbrechenden Weg beschritten. Wenn man Chopins Sinn für Modulation nachspürt, sein Interesse an harmonischen, oft chromatischen, Fortschreitungen beobachtet, die immer als Farben eingesetzt werden und sowohl strukturell formendes als auch emotional prägendes Element einer psychologisch dramatischen Entwicklung seiner Werke sind, könnte man die Frage stellen, was hätte Chopin wohl gemacht, hätte Bach die Tonarten nicht derart vollkommen erschlossen? Hätte an Stelle Bachs ein anderer Komponist die Größe, den Weitblick und das Bedürfnis entwickelt, alle Tonarten zugänglich zu machen? Die Idee eines solchen umfassenden Zyklus, den die insgesamt 48 Präludien und Fugen des ersten und zweiten Bandes darstellen, die Bündelung aller gängigen Kompositionstechniken des freien Satzes (Präludium) und des strengen Kontrapunktes (Fuge), stellt eine zuvor nicht dagewesene, multidimensionale Leistung dar, an der in der Folge kaum ein Komponist ‚vorbeikam‘ bzw an der die Nachfolgenden auch gemessen wurden und sich maßen. Und man darf nicht vergessen, dass das „Wohltemperierte Klavier“ nur einen sehr kleinen Teil von Bachs immensem kompositorischem Schaffen darstellt. Auch wenn hier wiederum vorrangig eine Teilkomponente dieses Zyklus‘, die Erschließung der Tonarten, angesprochen wurde, lässt sich allein daran ablesen, wie groß Bachs Wirkung auf die Nachwelt war. Um die oben gestellte Frage zu beantworten: Bachs Werk profitiert insofern von dieser programmatischen Gegenüberstellung, als auch durch Chopins Werk hindurch, ohne in irgendeiner Weise Chopins Originalität und Qualität dadurch zu schmälern, ein Blick auf den großen Leipziger Meister geworfen werden kann, quasi wie durch ein Kaleidoskop, und die Größe und der Glanz einer solchen Komposition, wie sie das „Wohltemperierte Klavier“ darstellt, durch einen weiteren Mosaikstein, den der kritisch bewundernden, weiterführenden Rezeption, ergänzt wird.
© Gerda Struhal 2016

„Scarlatti, Schlee, Chopin“
Thomas Daniel Schlee:          aus “Tränen” op 73, “Neun Wiener Tänze”, Nr. 1 “Wiedner”
Domenico Scarlatti:               Sonate Es-Dur K. 193
Domenico Scarlatti:               Sonate in f Moll K. 387
Domenico Scarlatti:               Sonate in F Dur K. 151
Domenico Scarlatti:               Sonate G-Dur K. 547
Thomas Daniel Schlee:          aus Tränen op. 73, “Neun Wiener Tänze”, Nr. 4 “Ottakringer”
Domenico Scarlatti:               Sonate in D Dur K. 335
Domenico Scarlatti:               Sonate G-Dur K. 425
Domenico Scarlatti:               Sonate g-Moll K. 426
Domenico Scarlatti:               Sonate G-Dur K.427
Thomas Daniel Schlee:          aus Tränen op. 73, “Neun Wiener Tänze”, Nr. 9″Gumpendorfer”
Frédéric Chopin:                     24 Préludes op. 28

“Die Hammerklaviersonate, erläutert und gespielt…”
vor der Pause eine Einführung in das Werk,
interpretatorische Ansätze,
analytische Einblicke mit Tonbeispielen, wahlweise in deutscher oder englischer Sprache
nach der Pause die künstlerische Präsentation der Sonate

“Yasmina Reza und Ludwig van Beethoven, Die Hammerklaviersonate und andere Kleinigkeiten des Alltags”
Lesung mit Klavier  (Lesung: N.N.)

wahlweise in deutscher oder englischer Sprache, Länge: 80-90 Minuten ohne Pause

„Zauberwelt Musik – Bach, Bach, Schlee, Beethoven“
erläuternder Text siehe im Anhang
J. S. Bach:   Präludium und Fuge C-Dur WTK I
J. S. Bach:   Präludium und Fuge Cis-Dur WTK I
T. D. Schlee: aus „Tränen“, 9 Wiener Tänze op. 73
Nr.1 „Wiedner“
Nr.9 „Gumpendorfer“
J. S. Bach:   Präludium und Fuge E-Dur WTK I
J. S. Bach:   Präludium und Fuge Es-Dur WTK II
C. Ph. E. Bach: aus “Sechs Clavier-Sonaten für Kenner und Liebhaber”
Sonate in C- Dur
Prestissimo
Andante
Allegretto
L. v. Beethoven: Sonate in c-Moll op. 111
 
„Zauberwelt Musik – Bach, Bach, Schlee, Beethoven“
(veröffentlicht im Programmheft zu Solorezital 31. Juli 2014, Schloss Goldegg/Land Salzburg)
„Das wohltemperirte Clavier [sic] ist das alte Testament, die Beethoven’schen Sonaten das neue, an beide müssen wir glauben“ – mit Bachs Wohltemperiertem Klavier und Beethovens Sonate op. 111 am Programm könnte man also auch Hans von Bülows wohlbekanntes und markantes Zitat aus dem späten 19. Jhdt. hernehmen, das die 48 Präludien und Fugen von Bach zum einen und die zweiunddreißig Klaviersonaten Beethovens zum anderen in einen umfassenden Kontext zu bringen sucht.
Tatsächlich besteht zwischen diesen beiden Meilensteinen der Musikgeschichte durchaus ein inhaltlicher Zusammenhang, der in Bachs kompositorischen Meisterschaft von kontrapunktischen Formen, wie sie eben die Fugen repräsentieren, ihren Ausgang nimmt und in Beethovens Faszination des polyphonen Schaffens von Bach seine Reaktion findet. Beethoven spielte die Präludien und Fugen Bachs mit stetem Interesse und griff, davon inspiriert, insbesondere in seinem Spätwerk, zu dem auch seine allerletzte Klaviersonate op. 111 zählt, kontrapunktische Kompositionsformen auf.
Mit der kleinen Sonate in C-Dur kommt Carl Philipp Emanuel Bach zu Gehör, der zweitälteste Sohn Bachs, dessen 300. Geburtstag wir dieses Jahr begehen. Dieser Bach Sohn war, wie alle Bach’schen Kinder, Schüler des Vaters, der als Thomaskantor in Leipzig ein bekannter Pädagoge seiner Zeit war. Im übrigen wurde das Wohltemperierte Klavier auch als pädagogisches Werk konzipiert. Die dreisätzige Sonate des Bach Sohnes, der seinerseits ebenfalls als großer Cembalospieler und Pädagoge geschätzt wurde, als Komponist stilistisch dem „Empfindsamen Stil“ zugeordnet wird und diese Sonate 1779 komponierte, erinnert in Miniaturform an die klassische Sonate, die zur selben Zeit von Haydn und Mozart weiter südlich, nämlich in und um Wien, zur ersten Hochblüte geführt wurde und über vierzig Jahre später bei Beethovens op. 111 eine weit über die Klassik hinaus und in die Zukunft weisende Ausformung findet. Nicht nur der besonderen inhaltlichen und strukturellen Ausformung, zum Beispiel der klaren Zweiteilung in den hochdramatischen c-Moll Satz und der wunderbaren C-Dur Arietta, die im zweiten Satz als Thema den Variationen voransteht, dankt die Sonate op. 111 ihre Berühmtheit, sondern auch dem Umstand, dass es sich hierbei um die – ein enorm fruchtbares in der Musikgeschichte einzigartig reichhaltiges Sonatenschaffen – abschließende Sonate handelt, die u.a. auch Thomas Mann in seinen Roman „Doktor Faustus“ aufnahm.
Thomas Daniel Schlee ist ein führender Vertreter der österreichischen zeitgenössischen Komponisten und schließt mit seinem Zyklus „Tränen“, Neun Wiener Tänze op. 73, einer Hommage an seine Heimatstadt Wien (im übrigen Beethovens Wahlheimat), an eine lange Musiktradition an. Jeder dieser „Tänze“, die keine Tänze im herkömmlichen Sinne sind, trägt als Titel den Namen eines Wiener Bezirks. Im „Wiedner“, dem ersten Tanz der Sammlung, erinnert er sich seiner eigenen Jugend in Wieden, während er im letzten Tanz, dem „Gumpendorfer“, mit Tonmaterial, dem der 2. Modus seines Lehreres Olivier Messiaen zugrunde liegt, u.a. die Temperamente seiner Kinder in der Musik erklingen lässt.
© Gerda Struhal 2014

“Dussek – Schubert, Sonaten” oder „Dussek – Beethoven, Sonaten“
erläuternder Text siehe im Anhang
J. L. Dussek: Sonate a-Moll op. 18/2
J. L. Dussek: Sonate op. 39 Nr. 3 B-Dur
J. L. Dussek: Sonate op. 35 Nr. 3 c-Moll
F. Schubert:  Sonate c-Moll D 958
(alternativ zu Schubert: Beethoven, Sonate c-Moll op. 111)
Jan Ladislav Dusseks Klaviersonaten sind die eines umjubelten reisenden Virtuosen; manche Züge seines schillernden Lebens erinnern durchaus an das Franz Liszts, der ein halbes Jahrhundert später Europa bereiste und verzückte.
Nur vier Jahre jünger als Mozart, wurde Dussek in Böhmen geboren und war wohnhaft in Hamburg, St. Petersburg und später vor allem in London und Paris. Dusseks Werk bietet ein reichhaltiges, unter anderem mehr als dreißig Klaviersonaten umfassendes Schaffen für sein Instrument, das Klavier.
Dussek verpackte in seine Sonaten all sein spielerisches Können. Er zielte in erster Linie wohl darauf ab, sich mit seinen Kompositionen selbst in sämtlichen Facetten seinem Publikum zu präsentieren, ohne sich unbedingt der Mühe zu unterwerfen, für seine Kompositionen eine zwingende Form anzustreben, wie sie zum Beispiel ein Beethoven suchte. Nichtsdestotrotz finden sich in Dusseks gefälligen Sonaten zukunftsweisende Ideen, die stilistisch der Frühromantik verhaftet sind. Sie fangen auch glänzend das Zeitkolorit einer Musiksprache ein, die bei Mozart, Beethoven oder Schubert auf ihren Gehalt konzentriert wurde, und spiegeln einen Zeitgeist wider, dem sich die zuvor genannten Komponisten nie unterworfen haben. So gesehen ist Dussek ein äußerst interessanter ergänzender Schwerpunkt in einem Rezitalprogramm.
© Gerda Struhal, 2015

„Bach, Schlee, Beethoven“
J. S. Bach:                   Präludium und Fuge cis-Moll WTK I
J. S. Bach:                   Präludium und Fuge Cis-Dur WTK I
J. S. Bach:                   Präludium und Fuge D-Dur WTK I
T. D. Schlee:               „Sursum chordis corda“ für Klavier op. 81a
J. S. Bach:                   Präludium und Fuge f-Moll WTK II
J. S. Bach:                   Präludium und Fuge E-Dur WTK I
J. S. Bach:                   Präludium und Fuge Es-Dur WTK II
L v Beethoven:          Sonate op. 106 B-Dur „Hammerklaviersonate“
(alternativ zu Beethoven Sonate op. 106: Beethoven Sonate c-Moll op. 111)

“Chopin – Mazurken, Nocturnes und die vier Scherzi”