Beethoven der Dirigent und Pianist in den Jahren 1808 bis 1815 nach Erinnerungen Louis Spohrs

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Beethoven der Dirigent und Pianist in den Jahren 1808 bis 1815 nach Erinnerungen Louis Spohrs

Erzählungen zu den Uraufführungen der 7. Symphonie und des 4. Klavierkonzertes, zu seiner fortschreitenden Gehörlosigkeit und zur Umsetzung von Spielanweisungen

Beethoven schreibt in seinem Tagebuch im Jahr 1917

„Das Alleinleben ist wie Gift für dich bey deinem Gehörlosen Zustande, Argwohn muß bey einem niedern Menschen um dich stets gehegt werden.“ 

In seinen „Lebenserinnerungen“ hält Louis Spohr die Bekanntschaft mit Ludwig van Beethoven in den Jahren 1812 bis 1815 fest und gibt hier auch seine Eindrücke von Beethovens offensichtlich weit fortgeschrittener Beeinträchtigung des Gehörs wieder.

Spohr berichtet, dass er nach seiner Ankunft in Wien 1812 Beethoven so bald wie möglich aufsuchte, und beschreibt, dass Beethovens Gehör bereits schwer beeinträchtigt war: „Es war aber eine sauere Arbeit, sich ihm verständlich zu machen, da man so laut schreien mußte, daß es im dritten Zimmer zu hören war. […]“ Spohr führt in diesem Zusammenhang aus, dass Beethoven sich aufgrund seiner fortschreitenden Taubheit von allen „Musikpartien“ zurückziehe, da „er Musik nicht mehr deutlich und im Zusammenhange hören könne“.

Im weiteren beschreibt Spohr Beethovens Dirigierstil, den er als ausführender Musiker im Rahmen der Wohltätigkeits-Akademie, die Johann Nepomuk Mälzel am 8. Dez 2013 im Universitätssaal gab, miterlebte. Bei dieser Akademie wurden erstmals Beethovens 7. Symphonie op. 92 sowie Wellingtons Sieg op. 91 aufgeführt. Angeblich wirkten laut Bericht in der Wiener Zeitung vom 20. Dezember 1813 in diesem Konzert „mehr als 100 Virtuosen vom ersten Range“ mit.

Beethoven dürfte generell einen eigenwilligen Dirigierstil an den Tag gelegt haben, der womöglich durch seine Schwerhörigkeit noch weiter verstärkt wurde. Spohr sagt hierüber folgendes:

„[…] Alles was geigen, blasen und singen konnte, wurde zur Mitwirkung eingeladen, und es fehlte von den bedeutenden Künstlern Wiens auch nicht einer. Ich und mein Orchester hatten uns natürlich auch angeschlossen, und so sah ich Beethoven zum erstenmale dirigiren. Soviel ich auch hatte davon erzählen hören, so überraschte es mich doch in hohem Grade. Beethoven hatte sich angewöhnt, dem Orchester die Ausdruckszeichen durch allerlei sonderbare Körperbewegungen anzudeuten. So oft ein sforzando vorkam, riß er beide Arme, die er vorher auf der Brust kreuzte, mit Vehemenz auseinander. Bei dem piano bückte er sich nieder, und um so tiefer, je schwächer er es wollte. Trat dann ein crescendo ein, so richtete er sich nach und nach wieder auf und sprang beim Eintritt des Forte hoch in die Höhe. Auch schrie er manchmal, um die Forte noch zu verstärken, mit hinein, ohne es zu wissen!

Seyfried, dem ich mein Erstaunen über diese sonderbare Art zu dirigiren aussprach, erzählte von einem tragi-komischen Vorfalle, der sich bei Beethovens letztem Concerte im Theater an der Wien ereignet hatte [Beethovens Akademie am 22. Dezember 1808]. Beethoven spielte ein neues Pianoforte-Concert von sich [4. Klavierkonzert op. 58], vergaß aber schon beim ersten tutti, daß er Solospieler war, sprang auf und fing an, in seiner Weise zu dirigiren. Bei dem ersten sforzando schleuderte er die Arme so weit auseinander, dass er beide Leuchter vom Clavierpulte zu Boden warf. Das Publikum lachte, und Beethoven war so außer sich über diese Störung, daß er das Orchester aufhören und von neuem beginnen ließ. Seyfried, in der Besorgnis, daß sich bei derselben Stelle dasselbe Unglück wiederholen werde, hieß zweien Chorknaben sich neben Beethoven stellen und die Leuchter in die Hand nehmen. Der eine trat arglos näher und sah mit in die Clavierstimme hinein. Als daher das verhängnisvolle sforzando hereinbrach, erhielt er von Beethoven mit der ausfahrenden Rechten eine so derbe Maulschelle, daß der arme Junge vor Schrecken den Leuchter zu Boden fallen ließ. Der andre Knabe, vorsichtiger, war mit ängstlichem Blick allen Bewegungen Beethoven’s gefolgt, und es glückte ihm daher, durch schnelles Niederbücken der Maulschelle auszuweichen. Hatte das Publikum schon vorher gelacht, so brach es jetzt in einen wahrhaft bacchanalischen Jubel aus! Beethoven gerieth so in Wuth, daß er gleich bei den ersten Akkorden des Solos ein halbes Dutzend Saiten zerschlug. Alle Bemühungen der ächten Musikfreunde, die Ruhe und Aufmerksamkeit wieder herzustellen, blieben für den Augenblick fruchtlos. Das erste Allegro des Konzertes ging daher ganz für die Zuhörer verloren. Seit diesem Unfall hat Beethoven kein Concert wieder gegeben. 

Das von seinen Freunden veranstaltete hatte aber den glänzendsten Erfolg. Die neuen Compositionen Beethoven’s gefielen außerordentlich, besonders die Symphonie in A (die siebente). Der wundervolle zweite Satz wurde da capo verlangt; er machte auch auf mich einen tiefen, nachhaltigen Eindruck. Die Ausführung war eine ganz meisterhafte, trotz der unsichern und dabei oft lächerlichen Direktion Beethovens.

Daß der arme taube Meister die piano seiner Musik nicht mehr hören konnte, sah man ganz deutlich. Besonders auffallend war es bei einer Stelle im zweiten Theile des ersten Allegro der Symphonie. Es folgten sich da zwei Halte gleich nach einander, von denen der zweite pianissimo ist. Diesen hatte Beethoven wahrscheinlich übersehen, denn er fing schon wieder an zu taktieren, als das Orchester noch nicht einmal diesen zweiten Halt eingesetzt hatte. Er war daher, ohne es zu wissen, dem Orchester bereits zehn bis zwölf Takte vorausgeeilt, als dieses nun auch, und zwar pianissimo, begann. Beethoven, um dieses pp nach seiner Weise anzudeuten, hatte sich ganz unter dem Pult verkrochen. Bei dem nun folgenden crescendo wurde er wieder sichtbar, hob sich immer mehr und sprang hoch in die Höhe, als der Moment eintrat, wo seiner Rechnung nach das forte beginnen mußte. Da dieses ausblieb, sah er sich erschrocken um, starrte das Orchester verwundert an, daß es noch immer pp spielte, und fand sich erst zurecht, als das längst erwartete forte nun eintrat und ihm hörbar wurde.

Glücklicherweise fiel diese komische Scene nicht bei der Aufführung vor, sonst würde das Publikum sicher wieder gelacht haben.“

Wenn wir Spohr’s Schilderungen vernehmen, die detailliert und gut beobachtet scheinen, und wenn wir zusätzlich bedenken, dass die ‚Konversationshefte‘ – sie belegen, dass Beethoven das Gesprochene seiner Gesprächspartner nicht mehr hörte und nur schriftlich aufnehmen konnte -, erst ab Februar 1818 dokumentiert sind, können wir ein wenig ermessen, dass zum Zeitpunkt des Einsatzes der Konversationshefte Beethoven wohl schon weitgehend ertaubt war. Das lässt womöglich auch den einen oder anderen Rückschluss auf sein Werk, insbesondere das Spätwerk, zu. Es ist nicht ganz einfach, auf Beethovens Gehör aus seinen eigenen Darstellungen Rückschlüsse zu ziehen, da es Beethoven offensichtlich, wie auch die oben geschilderten Szenen ansatzweise wiedergeben, ein Bedürfnis war, den tatsächlichen Zustand seines Gehörs den ausführenden Musikern und seinem Publikum gegenüber zu verschleiern. Er dürfte sich bemüht haben, den Eindruck zu erhalten, dass er die an ihn gestellten beruflichen Anforderungen erfüllen konnte, vermutlich auch deshalb, weil er sie unbedingt erfüllen wollte.

Was mir hier überdies besonders interessant scheint, ist Beethovens Umgang mit den eigenen Spielanweisungen, das große Bedürfnis, sie deutlich, ja anscheinend überdeutlich, für die Orchestermusiker darzustellen. Warum ihm das ein derartiges Anliegen war, warum er hierfür diese Darstellung im Dirigieren suchte, mag viele unterschiedliche Gründe haben. Denen nachzugehen, wird eine sehr reizvolle Aufgabe eines meiner nächsten Texte sein.

Zitate aus Louis Spohr, Selbstbiographie, Cassel & Göttingen, 1860/61 (https://books.google.at/books?id=rAAtAAAAMAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false) und Maynard Solomon, Beethovens Tagebuch, Beethoven-Haus Bonn, 1990, weitere Literatur, Beethoven aus der Sicht seiner Zeitgenossen in Tagebüchern, Briefen, Gedichten und Erinnerungen, G. Henle Verlag München, 2009

  Gerda   Posted in: Blog